Wir verwenden Cookies, um Ihnen ein optimales Nutzererlebnis zu bieten und Social Media einzubinden. Privacy Policy

Berkutschi Premium Partners

„Sind wir am Zenit?“

Erstellt am: 08.08.2015 16:57 / sb

In der Interviewreihe „Berkutschi-Talk“ präsentieren wir Gespräche mit Aktiven und Offiziellen rund ums Skispringen. Heute: Der deutsche Bundestrainer Werner Schuster  (45).
Seit 2008 lenkt der Österreicher Werner Schuster die Geschicke der deutschen Skispringer. Und das mit großem Erfolg. Unter seiner Regie errang unter anderem Severin Freund die Titel als Weltmeister im Skifliegen sowie Skispringen und den Gesamtweltcup.

Berkutschi: Hallo Werner, wie ist dein Sommer? Gab es überhaupt eine skisprungfreie Zeit?
Werner Schuster: Ja, die letzten dreieinhalb Wochen habe ich Familienurlaub gemacht. Die meisten denken sicher, dass das unmittelbar nach der Saison passiert. Aber in meiner Position gibt es da keine Möglichkeit für Urlaub. Da wird die alte Saison nachbereitet und die neue vorbereitet.
Wenn man Ideen, sei es personeller, strategischer oder konzeptioneller Art, einbringen möchte, dann muss das im April oder Mai passieren. Deshalb haben wir nach unserer erfolgreichen Saison sofort versucht, die Weichen zu stellen um mit dieser jungen Mannschaft auch den nächsten Schritt zu machen. Wir haben im Juni und Juli tolle Lehrgänge gehabt und fühlen uns gerüstet. Der Auftakt hat uns da bestätigt. Jetzt gehe ich wieder voller Tatendrang in diese intensive Phase mit Hinterzarten, Courchevel und Einsiedeln.


Berkutschi: Wie lange hast du gebraucht, um dich vom Finale in Planica zu erholen?
Schuster: Das hat gar nicht so lange gedauert, es ging relativ nüchtern weiter. Viele dachten wohl, wir würden in Sekt baden. Aber es war eher das Gegenteil der Fall. Wir sind es aus den Vorjahren gewohnt, uns mit intensiver Arbeit weiter zu bringen. Wir hatten schon langfristig Analysegespräche geplant. Gleichzeitig waren wir alle ein bisschen zu müde. Es war eine extrem intensive Zeit. Severin konnte die Spannung hochhalten und ein fantastisches Saisonfinale springen, die anderen Springer sind sukzessive zurückgefallen. Nach diesem Herzschlagfinale war man ausgepumpt. Es gab eine tiefe Befriedigung beim Sportler, dem Trainerteam und den Betreuern. Speziell auch, nachdem wir das Trikot als Nationencupsieger erhalten haben. Aber der Tank war leer, daher war die Freude nach außen nicht mehr so sichtbar.


Berkutschi: Wie hast du das dramatische Finale zwischen Severin und Peter Prevc erlebt?
Schuster: Ich war da glaube ich nüchterner als mancher TV-Zuschauer. Ich habe versucht, Severin bestmöglich zu unterstützen. Ich habe gemerkt, dass er kämpft, auf dieser Schanze nicht den letzten Kniff gefunden hat. Zuvor hatte er aber alles gewonnen. Er musste versuchen, so viele Punkte wie möglich zu holen. Gleichzeitig war klar, dass Peter Prevc auf einer Schanze wie in Planica eigentlich eine Klasse für sich ist. Es war ein komisches Gefühl, dass man nach einer eigentlich sehr starken Saison im letzten Wettkampf noch alles verlieren könnte. Wir haben versucht die Stimmung hoch zu halten. Ich habe immer daran geglaubt, dass es reichen kann. Auch als viele dachten, dass das Momentum  kippt. Ich war extrem erleichtert, als es sich ausgegangen ist.


Berkutschi: Kannst du dich in deinen slowenischen Trainerkollegen hineindenken, nachdem einer seiner Athleten dem anderen den Gesamtweltcup genommen hat?
Schuster: Jein. Ich war sehr gut auf die Situation vorbereitet, vor allem mental. Ich wusste schon am Vortag, dass Platz sieben reicht, wenn Prevc Zweiter wird. Deshalb gab es nur das Ziel, die Top-Sieben zu halten. Als das geschafft war, haben wir Hilfe von oben gebraucht. Es war ein Film, den man nicht besser hätte schreiben. Peter Prevc ist ein fantastischer Skispringer, noch ein paar Jahre jünger als Severin. Er wird von allen respektiert und hatte alle Türen offen.


Berkutschi: Es war eine außergewöhnlich erfolgreiche Saison. Wie setzt man sich nach einem solchen Winter neue Ziele? Ist es eine Herausforderung, den Gesamtweltcup zu verteidigen?
Schuster: Es gab ehrlicherweise eine Phase, in der ich überlegt habe, wie es weitergehen sollte. Sind wir am Zenit? Diese Frage habe ich sehr offen im Team und vor allem im Trainerteam gestellt. Wir waren uns irrsinnig schnell einig, dass wir nicht am Zenit sind. Dass wir trotz der tollen Erfolge noch Potenziale sehen, die noch nicht ausgeschöpft sind. Bei Severin hat schon sehr viel zusammen gepasst. Es wird eine große Aufgabe, im Gesamtweltcup wieder ganz nach vorn zu kommen oder wieder Weltmeister zu werden. Aber daneben haben wir eine sehr junge Mannschaft, die in der letzten Saison phasenweise aufgezeigt hat, wozu sie in der Lage ist. Aber noch nicht mehr. Wir glauben, dass wir noch Leute haben, neben Severin, die noch besser springen können und sich noch entwickeln können. Daraus haben wir extrem schnell Kraft und Motivation geschöpft, um unsere Arbeit fortzusetzen.


Berkutschi: Ist es ein anderes Gefühl, wenn man als Gejagter in die Saison geht?
Schuster: Eigentlich nicht. Wir sind einen sehr steinigen Weg beschritten und sind sehr stolz auf unser Durchhaltevermögen. Wir spüren aber auch, dass wir in anderen Ländern Geister geweckt haben, die uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unsere Position streitig machen wollen. Aber so ist das eben im Sport. Diese Herausforderung nehmen wir an. Profitieren wird der Skisprungfan, der wahrscheinlich wieder vor vielen tollen, spannenden Wettkämpfen stehen wird in der kommenden Saison.


Berkutschi: Ein großes Thema ist immer wieder die Vierschanzentournee. Setzt ihr euch damit jetzt schon auseinander oder erst im Dezember, wenn es wirklich losgeht?
Schuster: Wir werden uns diesmal noch aktiver damit auseinandersetzen als in den letzten Jahren. Es gab viele Baustellen in der Vergangenheit, die wir nach und nach abgearbeitet haben. Zuletzt war unser Grundniveau eigentlich hoch genug, um erfolgreich springen zu können. Das hat aus verschiedenen Gründen nicht geklappt. Im Laufe der Saison haben wir bei verschiedenen Wettbewerben nachgewiesen, dass wir das Zeug dazu haben. Aber die Tournee ist aus sportlicher Sicht die größtmögliche Herausforderung und wir fühlen uns in diesem Jahr in der Position, uns aktiv damit auseinanderzusetzen. Man muss sich vorbereiten, ohne zu fokussiert oder engstirnig hinein zu gehen. Das Ziel ist ein Podestplatz. Oder auch, die Tournee wieder einmal nach Deutschland zu holen.


Berkutschi: Kannst du dich als Österreicher eigentlich über einen österreichischen Sieg bei der Tournee freuen?
Schuster: Ich bewundere und respektiere die österreichischen Erfolge. Das bewundernswerte ist weniger, dass man sieben Mal in Folge gewinnt. Sondern, dass das mit sechs verschiedenen Athleten gelingt. Das ist bemerkenswert. Wie gerade auch im letzten Jahr mit Stefan Kraft. Er ist ein herausragender Athlet, der auf Anhieb in die Fußstapfen einer Generation Morgenstern und Loitzl treten kann.


Berkutschi: Und was ist mit der Freude über österreichische Erfolge?
Schuster: Naja, ich bin jetzt sieben Jahre in Deutschland, habe hier viel investiert. Wir haben viel zusammen erreicht. Deshalb kann ich mich im Moment nur so richtig freuen, wenn auch ein Deutscher die Vierschanzentournee gewinnt. Ich habe aber noch einen recht guten Draht nach Österreich, habe ja auch speziell mit Gregor Schlierenzauer noch eine Grundausbildung gemacht. Dafür fühle ich mich sehr privilegiert, ich denke, das war auch die Basis für viele seiner Erfolge.
Aber inzwischen ist auch der emotionale Abstand groß genug. Deshalb kommt die ganz große Freude nur auf, wenn meine Mannschaft erfolgreich ist.


Berkutschi: Es ist schwierig die Entwicklung von Gregor Schlierenzauer nicht zu verfolgen. Denkst du, dass er nach diesem etwas schwierigerem Jahr wieder vollständig zurück in die Erfolgsspur findet?
Schuster: Ich denke, Gregor hat bislang noch kein Jahr erlebt, dass man wirklich als dramatisches Tief bezeichnen könnte. In seinem sogenannten Tief hat er einen Weltcup gewonnen und ist Vizeweltmeister geworden. Im Gesamtweltcup ist er noch immer unter den ersten Zehn. Wenn man das mit anderen Sportgrößen vergleicht, mussten die meisten irgendwann in ihrer Karriere kapitale Leistungseinbrüche wegstecken. Er kann selbst in einem schwächeren Jahr mit den besten mithalten. Er wird weiterhin ein extrem gefährlicher Gegner sein. Da muss man sich keine Sorgen machen.


Berkutschi: Zurück zum deutschen Team. Hinter Severin Freund bieten sich am intensivsten Richard Freitag und Andreas Wellinger an. Was erwartest du von diesen beiden?
Schuster: Das sind natürlich die Athleten, die schon gewinnen konnten. Von daher haben sie auch das Zeug dazu, weitere Siege einzufahren. Bei Richard Freitag ist es eine Stabilitäts- und in letzter Konsequenz wohl auch eine Persönlichkeitsfrage. Er muss es schaffen, auch über Monate Spitzenleistung zu bringen. Er hat hervorragende Anlagen, ist ein extrem fleißiger Sportler. Wenn ich an seinen Sieg im letzten Winter in Innsbruck denke – das war fulminant. Aus einer Situation heraus, die für das gesamte Team schwierig war. Das war grandios. Es braucht noch eine gewisse Stabilität.
Andreas Wellinger musste diesen Sturz im vergangenen Jahr wegstecken, das war ein Wehrmutstropfen. Die gesamte Phase danach, der Wiedereinstieg, das lief nahezu optimal. Er hat gute Voraussetzungen, sich da oben festzubeißen. Und auch ein solcher Sturz kann ihn zu einem noch besseren Springer machen, weil er das Risiko jetzt besser abschätzen kann.
Ich würde aber auch die anderen Springer nicht vergessen wollen. Markus Eisenbichler fehlt noch das Podium, Marinus Kraus zeigt eine gute Entwicklung. Andreas Wank versucht, sich zurück zu kämpfen. Die Stimmung ist so gut, dass selbst ein Michael Neumayer seinen Platz nicht kampflos räumen möchte und top motiviert ist.


Berkutschi: Welche Rolle spielt der Sommer Grand Prix für dich und die Mannschaft?
Schuster: Wir versuchen schon, uns hier im Spitzenfeld zu platzieren. Es ist aber auch so, dass der Kalender sich so entwickelt hat, dass man einige Reisen auf sich nehmen muss. Auch der Winterkalender hat sich vergrößert. Wir haben inzwischen von Ende November bis Mitte März Wettkämpfe. Da ist die Gesamtbelastung für die Topleute ziemlich gewachsen. Das macht es schwierig, auf den Gesamtsieg im Sommer zu springen. Denn alle Wettkämpfe mitzumachen, ist nicht so einfach. Wir sind froh, dass wir in Hinterzarten ein Springen auf deutschem Boden haben. Es ist kein Zufall, dass wir hier mit unserer aktuell stärksten Mannschaft antreten. Es ist zu erwarten, dass wir nur punktuell mit den Spitzenleuten eingreifen. Aber wenn wir teilnehmen, wollen wir auch vorn dabei sein und sehen das als wichtige Standortbestimmung. Wir konnten in den vergangenen Jahren mit Andreas Wank und Andreas Wellinger zweimal gewinnen. Das war extrem wichtig für uns. In diesem Jahr wäre es eher eine Überraschung, wenn das wieder gelingen sollte.


Berkutschi: Letzte Frage, gibt es Schlagzeilen, die du in Zukunft gern nicht mehr über das deutsche Skispringen lesen würdest?
Schuster: Ich bin grundsätzlich informiert über das, was geschrieben wird. Ich habe da aber inzwischen eine gewisse Gelassenheit und einen Abstand entwickelt. Wenn man eine Veranstaltung wie die Vierschanzentournee hat, bei der die Zeitungen eben drei oder vier Seiten für Berichterstattung frei halten, es dann sportlich aber nicht so funktioniert, muss man mit Kritik rechnen. Was ich als eher unangenehm empfinde, ist dass man den Weg zu wenig respektiert, den man gehen muss, um solche Erfolge feiern zu können. Man vergleicht vieles mit früher. Das ist in anderen Sportarten, wie Tennis, ähnlich. Alles unter dem Wimbledonfinale ist ja eigentlich ein Desaster. Das ist nicht so einfach. Ich hab Verständnis für den Boulevard. Aber ich wünsche mir mehr Fachkommentare, die die Dinge realistisch einordnen. Man kann uns definitiv nicht vorwerfen, dass wir ohne Strategie und Einsatz agieren. Das kann man von uns verlangen. Für alles andere braucht man Geduld.


Berkutschi: Vielen Dank für das Interview und alles Gute!

Werner Schuster nach dem gewonnenen Teamwettbewerb in Hinterzarten.

 

Neueste Nachrichten