Neumayer: „Zur Tournee bin ich wieder da“
In der Interviewreihe „Berkutschi-Talk“ präsentieren wir Gespräche mit Aktiven und Offiziellen rund ums Skispringen. Heute: Michael Neumayer (36).
Michael Neumayer feierte seine Weltcuppremiere in der Saison 2000/2001, damals als Teamkollege von Martin Schmitt und Sven Hannawald. Vier Weltcupsiege mit der Mannschaft konnte Neumayer bislang erringen, außerdem olympisches Silber 2010 sowie drei Weltmeisterschaftsmedaille, ebenfalls im Team. 2008 war Neumayer Dritter der Vierschanzentournee und gewann im August dieses Jahres in Hakuba erstmals einen FIS Grand Prix.
Berkutschi: Hallo Michael, wo erreichen wir dich?
Michael Neumayer: Ich bin gerade bei der Einkleidung des Deutschen Skiverbandes für die kommende Saison. Das ist immer wie Weihnachten mit vielen Geschenken (lacht).
Berkutschi: Du kannst dich also nach all den Jahren immer noch über die neue „Dienstkleidung“ freuen?
Neumayer: Unbedingt. Das ist immer wieder ein schöner Termin. Man freut sich immer wieder wenn man solche Geschenke bekommt. Man hat ja auch Leistung gebracht, um sich das zu verdienen. Darüber hinaus trifft man viele Kollegen aus unterschiedlichsten Disziplinen und hat dann viel zu bequatschen. Wobei, mittlerweile kenne ich gar nicht mehr alle, weil viele fast 20 Jahre jünger sind als ich (lacht).
Berkutschi: Man sieht die Mannschaften immer mit der offiziellen Teambekleidung bei den Wettbewerben. Was findet sich denn alles in so einem Paket?
Neumayer: Von der Mütze über die Wärmeeinkleidung bis zu den Socken alles, was man im Winter braucht. Man ist wirklich von Kopf bis Fuß eingekleidet.
Berkutschi: Lass uns über den zurückliegenden Sommer sprechen. Du konntest in Hakuba erstmals einen FIS Grand Prix gewinnen, bist im Continentalcup aufs Podest gesprungen. Danach lief es nicht mehr so gut, bei den deutschen Meisterschaften warst du nur Zwölfter. Wie schätzt du selbst die letzten Monate ein?
Neumayer: Das ist schon eine recht gute Zusammenfassung. Es war ein schwieriger Sommer für mich. Ich hatte mich entschlossen, nochmal eine Saison dran zu hängen, wusste aber auch, dass es nicht leicht wird. Dementsprechend habe ich im Frühjahr Gas gegeben, viele Sachen probiert. Vor allem beim Material. Anders Ski, andere Bindungen, andere Schuhe. Ich habe versucht, etwas zu finden, das mir hilft noch einmal ein paar Meter weiter zu springen. Dieser Schritt ist bei mir leider in die Hose gegangen. Nach zweieinhalb Monaten habe ich diese Idee aufgeben müssen. Dann musste ich wieder Skispringen lernen. Vor dem Beginn in Wisla war ich so weit weg, dass ich freiwillig auf einen Start verzichtet habe. Bis zum Grand Prix in Hakuba habe ich das Springen dann aber wieder gut hinbekommen, obwohl nur vier Wochen Zeit waren. In dieser Phase bin ich so gut gesprungen, wie seit drei Jahren nicht mehr. Blöderweise ist mir die Lockerheit und Freude relativ schnell wieder abhanden gekommen. Das letzte Mal bin ich beim ersten COC in Stams noch gut gesprungen. Da war ich Dritter. Danach war es dann mehr Krampf als Genuss. Man sieht dann, dass es nichts bringt, wenn man es mit Gewalt versucht. Mit diesen Ergebnissen danach konnte ich mich dann auch nicht für den Weltcup-Auftakt ins Gespräch bringen.
Berkutschi: Hast du mit all deiner Erfahrung eine Erklärung dafür, dass es von einem Tag auf den anderen einen solchen Bruch in der Leistung gibt?
Neumayer: Beim ersten Wettbewerb in Stams war ich zwar Dritter, aber 20 Punkte vom Sieger weg. In meinen Sprüngen konnte ich keine groben Fehler finden, hatte aber den Anspruch, im Continentalcup gewinnen zu wollen. Als gestandener Athlet, mit viel Weltcuperfahrung. Es war dann der falsche Schritt, dass ich unbedingt dorthin kommen wollte, anstatt kontinuierlich weiter zu arbeiten. Ich habe es mit der Brechstange versucht. Das ist schief gegangen, auch wenn ich es besser hätte wissen müssen.
Berkutschi: Gab es in der Folge Überlegungen, dieses eine Jahr vielleicht doch nicht mehr dran zu hängen?
Neumayer: Nein, die gab und gibt es definitiv nicht. Die grundsätzlichen Überlegungen, den Sport irgendwann zu beenden, gibt es bei mir ja schon länger. Aber jetzt, vor dem Winter nachdem man den ganze Sommer gearbeitet hat, werde ich nicht die Flinte ins Korn werfen. Ich muss jetzt das tun, was ich schon im Sommer gemacht habe: Wieder Skispringen lernen. Ich werde den Winter wahrscheinlich im COC beginnen und hoffe, dass ich bis zur Tournee wieder in eine lockere, spaßbetonte Form komme und mich wieder ins Gespräch bringen kann. Dann werden wir weiter sehen. Es wird aber sicherlich nicht so sein, dass ich nach der Tournee sage `danke, ihr seht mich nie wieder`. Ich möchte mich mit Anstand verabschieden.
Berkutschi: Heißt das im Umkehrschluss, dass nach der nächsten Saison definitiv Schluss ist? Oder kann es auch passieren, dass du noch einmal Lust auf eine Weltmeisterschaft bekommst, wenn die Form passt?
Neumayer: Die zweite Variante trifft es. Man weiß es nie. In diesem Sport kann es sehr schnell gehen. Ende Juli dachte ich, ich bin meilenweit weg. Mitte August gewinne ich plötzlich einen Grand Prix. Normalerweise kenne ich mich so nicht, mit solchen Quantensprüngen zwischen gut und schlecht und wieder zurück. Ich war immer über Jahre ein sehr stabiler Springer. Sicherlich ohne herausragende Ergebnisse, aber konstant gut. Wenn es schlecht lief, war ich eben mal 25..
Wenn es gut lief, war ich Zehnter. Momentan ist diese Spanne wesentlich größer.
Berkutschi: Bei Springern jenseits der 35 gibt es immer die unvermeidliche Frage nach Noriaki Kasai. Kannst du dir vorstellen, mit 42 immer noch zu springen?
Neumayer: (lacht) Jenseits der 40 werde ich höchstens noch aus Spaß, falls ich noch in den Anzug passe, mal eine Schanze runter rutschen. Ein offizieller Skispringer werde ich aber sicherlich nicht mehr sein.
Berkutschi: Kannst du nachvollziehen, dass Noriaki nicht aufhört?
Neumayer: Ich kann ihn komplett verstehen. Er bringt ja auch noch Leistungen, die das rechtfertigen. Dieser Sport macht extrem viel Freude, wenn man ihn ausführen darf und dabei auch noch gut ist. Wenn das bei mir so wäre, dass ich in diesem Alter noch so erfolgreich wäre, würde ich es wahrscheinlich auch nicht anders machen. Das Sportlerleben ist definitiv interessanter, als ein normaler Arbeitsalltag, wo man sieben Uhr ins Büro geht und abends heimkommt. Es ist ein anderes Leben. Das Reisen muss man mögen, aber wer diesen Sport macht, nimmt das gern in Kauf.
Berkutschi: Du bist ein bekennender Japan-Fan. Ist es ein Ziel, nochmal einen Weltcup in Japan zu springen?
Neumayer: Das ist ein sehr großes Ziel. Ich bin Japan gegenüber sehr positiv gestimmt, deshalb läuft es bei mir dort wahrscheinlich auch immer so gut. Viele mögen die weite Anreise nicht, mit langen Flugzeiten. Ich sehe das immer sehr gelassen. Das sind sehr entspannte Wettkämpfe. Alles ist perfekt organisiert, man muss sich um nichts kümmern. Ich mag die Menschen in Japan, die Atmosphäre.
Natürlich ist die Konkurrenz meist etwas kleiner, weil einige Top-Stars die Wettbewerbe auslassen. Manche haben Angst, dass die lange Reise der Form schaden könnte. Ich war aber immer der Meinung, dass wenn die Japaner das ganze Jahr über bei uns sein können, dann müssen wir auch mal diese eine Woche nach Japan gehen und uns dort präsentieren.
Berkutschi: Was traust du dem deutschen Team im kommenden Winter zu?
Neumayer: Es ist definitiv gut gearbeitet worden im Sommer. Man hat bei der deutschen Meisterschaft gesehen, dass Severin Freund sehr souverän ein Stück vorn weg springt. Er ist sicherlich einer der heißesten Kandidaten für Spitzenplätze.
Berkutschi: Und du wirst versuchen, die jungen Hüpfer ein wenig zu kitzeln?
Neumayer: Ein wenig kitzeln, ein wenig ärgern. Vielleicht kann ich auch dem einen oder anderen jungen Springer, gerade auch aus der zweiten Garde, hilfreich zur Seite stehen. Das war schon in den letzten Jahren ein Stück weit meine Rolle und ich durfte meine Erfahrungen weiter geben. Einige Springer konnten davon auch ein wenig profitieren. Ich werde mich sicherlich nicht dagegen wehren, auch weiterhin zu helfen, wenn jemand auf mich zukommt.
Berkutschi: Letzte Frage: Gibt es eine Schlagzeile, die du in deinem Sportlerleben gern noch einmal über dich lesen würdest?
Neumayer: Ich bin kein so mediengeiler Typ, dass ich unbedingt etwas über mich lesen möchte. Ich würde gern nochmal einen ordentlichen Winter zu Stande bringen und mit Anstand meine doch sehr schöne Laufbahn beenden können, irgendwann. Das liegt mir sehr am Herzen. Was dann die Medien schreiben, da bin ich entspannt geworden. Früher habe ich noch versucht, dass zu recherchieren. Inzwischen mir das relativ egal.
Ich möchte, mit dem was mein Körper noch hergibt, noch einmal Freude verspüren an meinem Sport. Dann ist es nicht so wichtig, ob man Zehnter oder Dritter wird. Man muss mit sich selbst im Reinen sein.
Berkutschi: Dann drücken wir dir dafür die Daumen und hoffen, dich noch einmal in einer guten Form im Weltcup zu sehen.
Neumayer: Ich würde normalerweise sagen, das verspreche ich. Aber man wird sehen, wie es kommt (lacht).