"Es war grandios"

Erstellt am: 03.03.2015 17:07 / sb

In der Interviewreihe „Berkutschi-Talk“ präsentieren wir Gespräche mit Aktiven und Offiziellen rund ums Skispringen. Heute: Horst Hüttel (46), sportlicher Leiter für Skispringen und Nordische Kombination des Deutschen Skiverbandes.

Berkutschi: Hallo Horst, herzlichen Glückwunsch zu den sehr erfolgreichen Weltmeisterschaften. Eine Frage vorab: Wie sehr hat das Teamspringen die gute Stimmung getrübt?
Horst Hüttel: Naja, wir wollten natürlich schon zum Abschluss noch eine Medaille gewinnen. Es gab auch vieles, das dafür gesprochen hat. Leider ist uns das nicht gelungen, da wir mannschaftlich vor allem im ersten Durchgang zu viel haben liegen lassen. Daran sieht man auch, wie eng Sieg und Niederlage beieinander liegen. Wir können aber damit umgehen. Es wäre wesentlich schmerzlicher gewesen, wenn wir vorher nichts gewonnen hätten.


Berkutschi: Wie fällt dein WM-Fazit insgesamt aus?
Hüttel: Es war grandios. Wenn man beide WM-Wochen sieht, haben wir sowohl bei den Damen als auch bei den Herren sehr starke Leistungen unserer Athleten gesehen. Die Sportler haben ihr Leistungsvermögen abgerufen. Wenn man die Nordische Kombination dazu nimmt, haben wir acht Medaillen geholt. In Sochi im vergangenen Jahr waren es fünf. Von daher sind wir sehr zufrieden und es bestärkt uns, unsere Konzepte so fortzuführen.


Berkutschi: Als Werner Schuster 2008 Bundestrainer geworden ist, hast du auch gerade die sportliche Leitung der Skispringer übernommen. Der Anspruch war, das Skispringen komplett neu zu strukturieren. Seid ihr jetzt dort angekommen, wo ihr hinwolltet?
Hüttel: Generell funktionieren im Leistungssport die Systeme relativ träge. Wenn man etwas verändert, dauert es eine Weile bis die Ergebnisse sichtbar werden. Diese Veränderungen sind uns in den letzten sieben Jahren gut gelungen. Wir kämpfen inzwischen um den Sieg in der Nationenwertung im Weltcup. Schon vor Falun gab es das Mannschaftsgold in Sochi und den Skiflug-Titel von Severin Freund. Das zeigt, dass der Weg passt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir noch lange nicht am Ende sind. Mein Vorteil ist, dass ich den Vergleich zur Kombination ziehen kann. Dort sind wir in einzelnen Bereichen noch etwas weiter und es wird auch noch eine gewisse Zeit dauern, um mit dem Skispringen auf dem gleichen Niveau anzukommen. Aber wir sind auf einem guten Weg.


Berkutschi: In welchen Bereichen gibt es aus deiner Sicht noch Luft nach oben?
Hüttel: In erster Linie die absolut gleiche Trainingsauffassung und –Philosophie. Es geht darum, dass die Springer an verschiedenen Stützpunkten die gleiche Ausbildung erfahren. Da haben wir vieles geschafft, deshalb stehen wir da, wo wir stehen. Aber es gibt auch noch Möglichkeiten, das weiter fort zu setzen. Dann werden sich auch weiterhin junge Athleten anbieten und sich die Qualität des Weltcup-Kaders weiter erhöhen.


Berkutschi: Auch in dieser Saison ist noch einiges möglich. Severin Freund hat nach der Weltmeisterschaft nahezu sämtliche Medienanfragen abgelehnt, um sich voll auf den Weltcup konzentrieren zu können.
Hüttel: Das ist beeindruckend und zeigt, wie professionell er die Dinge angeht. Zum einen geht es um den Gesamtweltcup. Diese Chance lebt. Gleichzeitig möchte er als unser wichtigster Mann einen wertvollen Beitrag leisten, viele Punkte für den Nationencup zu sammeln. Es musste ihn auch niemand darum bitten, sich voll auf den Sport zu konzentrieren. Das war selbstverständlich für ihn.


Berkutschi: Für die Fans zählen natürlich WM-Medaillen oder der Gesamtweltcup ganz besonders viel. Die Verantwortlichen haben da manchmal eine andere Perspektive. Welche Wertung hat für dich den höchsten Stellenwert?
Hüttel: Jede Wertung sagt etwas anderes aus. Der Weltmeistertitel, erstmals nach 14 Jahren für Deutschland, in einer noch nie dagewesenen Deutlichkeit, war etwas Herausragendes. Das wird ewig auf Severins Visitenkarte stehen. Andererseits ist der Gesamtweltcup ein Ausdruck von konstanter, strategisch guter Arbeit über vier Monate hinweg. Wenn man sich am Ende in Planica als Team das gelbe Trikot überstreifen kann, ist das fürs gesamte Team eine tolle Geschichte. Das streben wir an.
Vor zwei oder drei Jahren war daran noch nicht zu denken. Jetzt ist die Möglichkeit da. Aber wir wollen dort auch nicht über das Ziel hinaus schießen. Wenn es nicht klappen sollte, greifen wir eben nächstes Jahr wieder an.


Berkutschi: Es wird viel über Severin Freund gesprochen. Es gab aber auch noch eine Athletin, die ebenfalls überragend gesprungen ist. Wie beeindruckt bist du von Carina Vogt?
Hüttel: Im Vorfeld musste man sie natürlich auf der Rechnung haben. In Falun selbst war es dann ähnlich wie in Sochi. Sie ist wirklich sehr gut gesprungen, aber man musste sicherlich Daniela Iraschko-Stolz und Sara Takanashi leicht favorisieren nach den Trainingsleistungen. Carina ist es dann wieder gelungen, ihre besten Sprünge der Saison beim Höhepunkt abzurufen. Das zeugt von einer enormen mentalen Stärke. Das ist bemerkenswert und sehr schön für die Verantwortlichen, wenn man eine solche Athletin in seinen Reihen hat.


Berkutschi: Wie siehst du die Entwicklung des Damen-Skispringens allgemein?
Hüttel: In Deutschland sehe ich das momentan gut bis sehr gut. Wir haben etwa 150 junge Mädchen, die Skispringen. Es kommen Vereine hinzu, die sich in diesem Bereich sehr bemühen. International sind aus meiner Sicht in der jüngeren Vergangenheit ein paar unglückliche Entscheidungen getroffen worden. Ich finde, es braucht einen dichteren Weltcupkalender. Es kann nicht sein, dass es keinen einzigen Mixed-Wettbewerb vor der Großveranstaltung gibt oder nach dem Saisonauftakt fast zwei Monate Pause sind. Da ist die FIS gefragt, in den nächsten Jahren tätig zu werden. Auch im Sinne der Nachwuchsarbeit, denn die jungen Springerinnen fragen danach.


Berkutschi: Letzte Frage: Welche Schlagzeile würdest du gern am Ende der Saison über das deutsche Skispringen lesen?
Hüttel: „Das deutsche Skisprungteam holt zum zweiten Mal in der Geschichte den Nationenweltcup.“ Das haben wir nämlich erst einmal geschafft.


Berkutschi: Das ist ein guter Beweis dafür, dass du mit Werner Schuster auf einer Wellenlänge bist. Er hat exakt die gleiche Antwort gegeben.
Hüttel: (lacht). Dann eint uns nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unsere Ziele.


Berkutschi: Vielen Dank für das Interview und alles Gute!