250 Meter– Weltrekord für einen Tag und dennoch für die Ewigkeit

Erstellt am: 17.02.2015 22:39 / sb

Gerade eben hatte Michael Neumayer am ARD-Radio-Mikrofon noch darüber berichtet, dass das Fliegen in Vikersund an diesem Samstag eine ziemlich zähe Angelegenheit sei.

Nicht für die Stars der Szene, die Top-Flieger kämen schon klar mit dem geringen Anlauf und der fehlenden Thermik. Aber das Gros des Feldes habe eben so seine Probleme. „Das ist definitiv die schönste Flugschanze der Welt und den Anlauf hat man so gewählt, dass die Allerbesten eben richtig weit segeln können. Für den Rest wird es dann schwierig. Aber die Jury muss es so steuern, dass die Stars die Schanze ausfliegen können.“ 247, vielleicht 248 Meter würde der Bakken  hergeben, dann sei aber sofort Ende im Gelände, so der Deutsche weiter. Natürlich weiß Michael Neumayer wovon er spricht. Der routinierte Bayer stand am Sonntag seine 200-Meter-Flüge Nummer 59 bis 61 – alleine das nötigt Respekt ab. Und dennoch wurde der 36jährige Sekunden nach seinem Statement eines Besseren belehrt. Denn während die Fans in Vikersund noch freudig erregt den Super-Satz ihres Landsmanns Anders Fannemel beklatschten, der 238.5 Meter weit gesegelt war, löste sich Sloweniens Peter Prevc vom Schanzentisch. Und flog, und flooog und floooooooooooog. Es schien so, als würde die Luftfahrt des 22jährigen nie ein Ende nehmen. Prevc schwebte vorbei an allen Markierungen, vorbei auch an der Weltrekordtafel und landete – in der tiefen Hocke zwar, aber sicher. Die Kollegen aus aller Herren Länder, die die Heldentat ihres Kameraden mitverfolgt hatten, gerieten in Ektase. Erst recht, als der Stadionsprecher die Weite bekannt gab: 250 Meter – Neuer Weltrekord!
Es ist nicht irgendeine Weltbestleitung, die dem fliegenden Slowenen gelang. Es ist ein Sprung mitten hinein die Geschichtsbücher. Weil diese 250 Meter eben wieder die Tür aufstoßen in eine neue Dimension. So wie einst Buwi Bradl die Skisprungweiten dreistellig werden ließ, als ihm in Planica 1936 der erste 100-Meter-Satz der Geschichte glückte. So wie der Norweger Lars Grini; in Oberstdorf 1967 der erste Mensch, der 150 Meter stand. 1994 war es Toni Nieminen vorbehalten, die 200-Meter-Marke zu knacken – möglicherweise geriet das in den letzten Jahren deshalb ein wenig in Vergessenheit, weil Norwegens Espen Bredesen einen Tag später auf 209 Meter steigerte und diese Marke einige Jahre Bestand hatte. Die folgenden Bestleistungen purzelten anschließend immer auf der Anlage in Planica – bis sich die Norweger entschlossen, den Bakken in Vikersund umzubauen. Weil sie die 250 Meter anpeilten.
Diese Weite haben sie nun erreicht. Am Tag darauf – so schnelllebig ist der Sport – legte Norwegens Anders Fannemel nach, stand – wenn auch mühevoll – 251,5 Meter. Die sind nun das Maß der Dinge.
Wie es weiter geht, bleibt die große Frage. Vikersund – in diesem Punkt ist Michael Neumayer beizupflichten – dürfte mit diesem Satz einigermaßen ausgereizt sein. Russlands Flugexperte Dimitri Vassiliev musste das schmerzhaft erfahren, er landete bei seinem 254-Meter-Satz im Schnee. Diese Dimension scheint Vikersund anno 2015 nicht herzugeben.
Anderswo gräbt und baut man dagegen fleißig. Die Spekulationen, wie viel die Anlage in Bad Mitterndorf zulässt, ist noch längst nicht abschließend beantwortet und in Planica dürfte man viel investieren, um den Rekord wieder nach Slowenien zurückzuholen.
Ob das im Sinne des Skifliegens und im Sinne der Gesundheit der Sportler ist – mit dieser Frage müssen sich die Verantwortlichen beim Weltverband sicherlich recht bald auseinandersetzen.

 

Thorsten vom Wege (49) ist Sportjournalist und arbeitet für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Er berichtet seit 1992 vom Skispringen und ist Mitglied des "Forum Nordicum". Das Forum Nordicum ist seit 35 Jahren die internationale Vereinigung von Journalisten im nordischen Skisport.
Die Experten des Forum Nordicum kommentieren in dieser Saison regelmäßig das Geschehen im Skisprung-Weltcup für Berkutschi.