Simon Ammann: "Noch nicht bereit, zurück zu treten"

Erstellt am: 01.12.2014 16:49 / sb

In der Interviewreihe „Berkutschi-Talk“ präsentieren wir Gespräche mit Aktiven und Offiziellen rund ums Skispringen. Heute: Simon Ammann (33), viermaliger Olympiasieger und zuletzt Doppelsieger in Kuusamo.

Berkutschi: Herzlichen Glückwunsch zu deinem grandiosen Wochenende, Simon. Es waren die Weltcupsiege Nummer 22 und 23. Greifst du jetzt Gregor noch einmal an?
Simon Ammann: Welchen, unseren oder den Schlieri? (lacht). Das wäre ein gutes Duell, wenn es wieder soweit käme. Aber das ist schwer voraus zu sagen, wie generell den ganzen Winter. Es wird jetzt versucht, das große Bild zu zeichnen, wie es so weiter gehen könnte. Aber da gibt es doch noch viel zu tun.

Berkutschi: Bist du selbst von diesem guten Saisonstart überrascht oder hattest du von Anfang an ein gutes Gefühl?
Ammann: Einerseits hatte ich schon im Training gute Sprünge und dachte, dass das auch im Wettkampf funktionieren könnte. In Klingenthal hatte ich es angedeutet. Aber bei mir gibt es auch immer noch einige Dinge anzupassen. Die Nervosität abzulegen beim Wettkampf. Das ist mir in Klingenthal schon gut gelungen. Dann gilt es das Wochenprogramm gut abzustimmen, von Training und Wettkampf. Und Kuusamo kannst du eigentlich nicht planen. Das muss man schon Glück haben, damit es so gut passt wie bei mir. Und dass es nicht so einfach ist, war leider offensichtlich am Wochenende.

Berkutschi: Du sprichst Nervosität an. Du gehörst zu den erfahrensten Springern. Bist du wirklich noch nervös, bevor es los geht?
Ammann: Ja, schon. Am Anfang gibt es auch Unsicherheiten, die du nicht kalkulieren kannst. Wir haben viele andere Springer vor drei Wochen noch beim Training in Oberstdorf gesehen. Das deutsche Team, die Polen und die Slowenen. Da hatte man einen kleinen Vergleich. Aber man weiß trotzdem nie, wie es dann im Wettkampf sein wird. Und diese Nervosität zeigt sich dann am Anfang auch bei mir. Wenn es gut läuft, kann ich diese Aufregung auch sehr gut brauchen um die Leistung anzutreiben. Dass es dann gleich so gut aufgeht, ist auch ein bisschen Fügung.

Berkutschi: Es war ein schwieriges Wochenende in Kuusamo, mit zwei heftigen Stürzen. Du bist seit einigen Monaten Vater. Sieht man solche Situationen jetzt mit anderen Augen?
Ammann: Die Frage wurde vielfach gestellt. Für mich war es wichtig, das Risiko gut einzuschätzen. Der Unterschied zwischen einem guten Sprung, der aggressiv läuft und einem, der ein bisschen aus dem Ruder läuft, ist sehr eng. Bei mir ist wichtig, dass die Bewegung gut läuft. Dann bietet man dem Wind weniger Angriffsfläche. Man ist voll am Limit. Das ist schwierig zu beschreiben. Ich versuche, das System schmal zu halten und den Sprung zu entlasten, damit ich nicht zu viel auf den Ski klappe. Aber das ist noch nicht ganz stabilisiert, auch ich muss da noch aufpassen. Da ist die Analyse sehr wichtig. Das hat mir schon früher, zum Beispiel am Holmenkollen geholfen. Ich bin da sicher nicht kopflos.

Berkutschi: Es gab im Sommer viele Fragen danach, ob du weiter machst oder nicht. Wie ernst waren die Gedanken ans Aufhören?
Ammann: Das muss ich ein wenig präzisieren. Das war eine kurze Phase nach den olympischen Spielen. Dann habe ich es eigentlich nach der Skiflug-WM offiziell bekannt gemacht. Aber in meinem Alter hängt einem das nach. Wenn man es einmal anspricht, wird man es nicht mehr los (lacht). Das ist auch interessant mit Noriaki. Anscheinend ist diese Fragestellung in Japan eine andere ganz andere. Da springen die Athleten sowieso viel länger. Hier gilt man mit 30 als alt und es wird viel in verschiedene Aussagen hinein interpretiert. Auch wenn ich dazu sagen muss, dass ich an der Fragestellung sicher auch ein bisschen selber schuld bin. Ich bin noch nicht so weit, zurück zu treten. Letztes Jahr wollte ich einfach wieder anständig Skispringen. Also könnte ich jetzt eigentlich aufhören, die Pflicht ist erfüllt (lacht). Ich glaube, so ein Wochenende mit zwei Siegen hatte ich noch nie. Auch die Situation mit einem geteilten Sieg hatte ich noch nicht. Das war wirklich etwas ganz spezielles, wie damals 2006 in Lillehammer der Doppelsieg mit Andreas Küttel. Und jetzt gerade mit Noriaki ist das schon sehr schön. Ich habe auch unserem Kommunikationschef ein bisschen Druck gemacht, dass ich ein Bild davon möchte um es aufzuhängen. Für mich ist das persönlich etwas Sporthistorisches.

Berkutschi: Du bist noch nicht soweit, zurück zu treten. Könnte Noriaki da ein Vorbild sein? Und du mit 42 immer noch springen?
Ammann: Das muss ich offen lassen. Es muss sich für mich lohnen. Das Training ist schon ganz schön anstrengend. Ich habe mich erst mit meinem Manager daran erinnert, wie schwer es im Sommer manchmal gefallen ist. Und jetzt hat man so einen tollen Einstand. Es liegt eben manchmal sehr nahe beieinander.

Berkutschi: Wie schwer fällt es dir, deinen kleinen Sohn jetzt durch Wettkämpfe und Training allein zu lassen?
Ammann: Es wäre wahrscheinlich besser, nicht so gut zu springen. Dann hätte man zwischen den Wettkämpfen nicht so viel zu tun. Das muss ich alles neu planen. Aber es war mir eigentlich klar, was auf mich zukommt. Und es ist auch schön, wenn man nach Hause kommt, zu sehen, dass der Kleine wieder ein paar Tage älter ist. Das erlebt man sehr bewusst, denn die Zeit ist wahnsinnig schnelllebig. Aber ich sehe das nicht als Belastung.

Berkutschi: Im Schweizer Nachwuchs ist ein bisschen was passiert. Gregor Deschwanden spielt schon seit längerem eine gute Rolle, Kilian Peier hat im Sommer positiv überrascht. Wirst du noch ein Podium mit dem Team miterleben?
Ammann: Dieser Hoffnungsfunke war eigentlich schon fast erloschen. Aber im Herbst, als ich nicht in Klingenthal war, kam auf einmal Kilian dazu. Beim Auftakt war er dann auch sehr stark. Gregor hat im Moment noch ein bisschen Mühe. Aber das gibt es manchmal, dass man nach einer guten Entwicklung ein bisschen ins Stocken gerät. Ich denke, das ist eine Kopfgeschichte. Das wird er auch noch hinbekommen. Dann sind wir schon drei. Der vierte Mann wechselt sich immer ein wenig ab. Es ist also wieder ein bisschen Leben hineingekommen. Im Februar sind wir in einer Außenseiterrolle. Ich kann auch den Druck ein wenig wegnehmen. Wir werden versuchen, dafür zu sorgen, dass die Möglichkeit da ist. Bei uns gibt’s einen Spruch: Glück ist, wenn Zufall auf Bereitschaft trifft.

Berkutschi: Für dich gibt es noch einen großen Titel, der dir fehlt: Die Vierschanzentournee. Hat das bei deiner Entscheidung, weiter zu machen, auch eine Rolle gespielt?
Ammann: Ich lebe noch sehr vom Erfolg in Oberstdorf im letzten Jahr. Das ist einer der schönsten Orte, um zu gewinnen. Sehr prestigeträchtig. Auch wenn es zum Schluss der Tournee nicht ganz geklappt hat. Aber als wir jetzt zum Training wieder in Oberstdorf waren, habe ich gemerkt, dass es zu einem sehr speziellen Ort für mich geworden ist. Von daher schaue ich hoffnungsvoll auf den Start. Es wird sich noch sehr viel tun bis dahin. Severin ist schon ganz gut gesprungen, Noriaki ist sehr stark und auch Peter Prevc wird immer stabiler.

Berkutschi: Sind die Spiele in Pjöngchang 2018 ein Thema für dich?
Ammann: Ich weiß es nicht. Im Prinzip liegen für mich zwischen den Goldmedaillen ja immer acht Jahre (lacht). Also wäre ich wieder dran. Aber andererseits könnte man auch, wenn man ein gutes Jahr hat, mit Stolz vom Sport weggehen. Ich kann das Gefühl noch nicht deuten.

Berkutschi: Alles Gute für dich und vielen Dank für das Gespräch.