Severin Freund: Wir brauchen keinen Leader
Der viertplatzierte im Gesamtweltcup der Saison 2012/13, Severin Freund, sprach mit Berkutschi.com über die Veränderungen in Deutschland, die Werner Schuster eingeführt hat, sowie über die Stärken der deutschen Mannschaft.
Berkutschi: Bis Oberstdorf war alles in Ordnung, du warst sehr erfolgreich, viele gute Platzierungen, gute Sprünge... und dann kam das neue Jahr und es lief nicht mehr rund. Ein Einbruch in deiner Form, oder warst du einfach müde nach so einem intensiven Saisonanfang?
Severin Freund: Ich konnte durch die Verletzung im Frühjahr relativ lange nicht richtig trainieren, und es war sicher so, dass mir aus dem Sommer etwas die Substanz fehlte. Dazu kam, dass der Beginn des Winters mich selber wahrscheinlich auch ein bißchen überrascht hat, weil ich nicht erwartet hätte, dass ich so schnell so weit vorne mitspringe. Ich hatte beispielsweise im vergangenen Jahr nach meiner langen Verletzungspause nie damit gerechnet, dass ich den Sommer Grand Prix in Klingenthal gewinnen würde. Ja, dann ist es nach Oberstdorf leider etwas weggebrochen. Wie das halt so ist, die Formkurve geht mal leicht nach oben, mal leicht nach unten. Es war dann halt besonders im Januar etwas schwieriger, bis zur WM ging es dann wieder bergauf und ich habe es eigentlich zur WM ganz gut hinbekommen. Und jetzt mit der Skandinavientournee am Schluss bin ich eigentlich bis auf den Oslo-Wettkampf auch sehr zufrieden.
Berkutschi: Du hast im letzten Winter nur ganz knapp und ganz spät den dritten Platz im Gesamtweltcup an Kamil Stoch verloren. Hast Du nach der Verletzung und der Pause im vergangenen Jahr geglaubt so schnell wieder um den Weltcup kämpfen zu können?
Freund: Es ist sicher ein Traum, den Gesamtweltcup mal zu gewinnen. Da war diese Saison sicher ein Schritt nach vorne, und wenn man so in die Saison startet wie ich, dann kommen natürlich schnell die Fragen zum Gesamtweltcup. Aber für mich selber war eigentlich immer klar, dass der Zeitpunkt, an dem man über den Gesamtweltcup nachdenken kann, frühestens bei der Skandinavientournee ist. Weil es eben so gehen kann wie jetzt bei Kamil. Er war relativ lange nicht wirklich vorne, jetzt hat er halt zweimal gewonnen und war die gesamte Skandinavientournee immer vorn dabei, macht immens viele Punkte und ist auf einmal Dritter.
Berkutschi: Du bist in der Zeit von Schmitt und Hannawald aufgewachsen. Hast du als Teenager gedacht, dass einmal in der Zukunft die Zeiten des Severin Freund kommen würden?
Freund: Das habe ich nicht wirklich selber von mir gedacht. Ich hatte ja relativ spät meinen Durchbruch. Es war so, dass ich die normalen Stadien von einem Juniorenspringer durchlaufen hatte, dass ich ganz normal im C- und im B-Kader war, aber eben nie so einer, der dann dort ganz vorne mitspringt. Ich habe mich konstant verbessert, auch als ich in den Weltcup gekommen bin, habe ich immer mehr Punkte gemacht. Es waren immer kontinuierliche Schritte, keine Riesensprünge, bis dann zur Saison 2010/2011. Ab dann war es eben mehr oder weniger ein Selbstläufer. Aber ich habe es mir nicht ausgemalt, es ist mir einfach passiert.
Berkutschi: Wir haben von Hannawald und Schmitt gesprochen, es gibt sehr viele Legenden des Skispringens, die aus Deutschland stammen. Wer war dein größtes Vorbild? Gibt es einen Springer, der der Grund dafür war, dass du Skispringer geworden bist?
Freund: Ich habe ehrlich gesagt nie ein Vorbild gehabt, ich weiß nicht wirklich warum. Es hat relativ viele Springer gegeben, die mich interessiert haben, aber ich habe nie ein Vorbild gehabt, zu dem ich besonders aufgeschaut hätte. Auch später nicht, ganz einfach deswegen, weil ich finde, dass Skispringen eine Sportart ist, die zu individuell ist und zu einzigartig, als dass man sagen könnte: „Okay, ich finde gut, was der macht, jetzt mache ich es genauso.“ Das wird nicht funktionieren.
Berkutschi: Ihr habt eine sehr junge Mannschaft. Glaubst du, dass das ein Vorteil ist?
Freund: Es ist definitiv ein Vorteil. Wir haben lange genug gebraucht, um dahin zu kommen wo wir jetzt sind. Dass es gerade jetzt eine Mannschaft ist, die im Durchschnitt sehr jung ist, ist auf jeden Fall genau das, was wir immer wollten. Wir haben mit Michi Neumayer jemanden dabei, der die Erfahrung hat, und der gerade für die ganz Jungen sicher in vielen Situationen sehr, sehr hilfreich ist. Und wie man sieht, hat er mehr Ehrgeiz entwickelt, jetzt wo die Anderen nach oben kommen. Aber gerade sowas wie jetzt mit Geiger und Wellinger, dass mal wirklich von unten jemand durchstößt und es gleich schafft, unter die Top 10 zu springen, das war ein großes Ziel unserer Mannschaft. Deswegen ist es sehr, sehr gut, dass wir das heuer geschafft haben.
Berkutschi: Du hast von Michi Neumayer gesprochen, aber ihr habt einen noch erfahrener Springer unter euch, und zwar Martin Schmitt. Wie wichtig ist er für eure Mannschaft?
Freund: Wenn Martin Schmitt in einer sehr guten Form ist, dann ist er für jedes Team wertvoll. Er hat es heuer leider nicht geschafft, dass er wirklich in seine beste Form gekommen ist. Er hat bei der Tournee gute Ergebnisse erzielt und wirklich gute Einzelsprünge gezeigt, aber im Verlauf des weiteren Winters hat er es leider nicht geschafft, dass er so richtig ins Rollen gekommen ist, dass das dann von selber gekommen wäre. Deswegen hat es heuer nicht so geklappt. Aber ich glaube, wenn er die Motivation hat, dann kann man ihm nichts absprechen. An dem was er schon geleistet hat, sieht man was in ihm steckt. Deswegen wird es immer möglich sein, dass er es nochmal zeigt.
Berkutschi: Kann man schon sagen, dass du der Leader deiner Mannschaft bist?
Freund: Ich glaube wir brauchen keinen Leader. Ich glaube unsere Mannschaft ist wirklich so gleichmäßig und das Klima ist so gut, dass wir jetzt keinen brauchen, der vorangeht. Sicher bin es heuer ich, was die Platzierungen angeht, aber es ist nicht so, dass mir deswegen die Anderen die Taschen hinterher tragen (lacht). Und das ist auch gut. Es ist eher die Mannschaft, die uns stark macht und dann können eben die Einzelnen auch wirklich starke Leistungen bringen.
Berkutschi: Michael Uhrmann hat 2007 ein Weltcupspringen gewonnen. Danach mussten die Deutschen 4 Jahre warten, bis du in Sapporo gewonnen hast. War der Druck in Deutschland besonders groß, weil man einen Sieg von dir erwartet hat?
Freund: Wenn man in einem Land wie Deutschland keine Siege einfährt, dann ist es natürlich nie gut genug. Wir haben dazwischen auch Erfolge gefeiert, z.B. in Vancouver, wo ich nicht dabei war. Das ist sicher auch gefeiert worden, auch von der Öffentlichkeit. Aber man hört's immer noch durch, die Zeit damals von Schmitt und Hannawald, mit Salt Lake City und danach, ist schon noch sehr, sehr präsent - bei allen eigentlich. Deswegen können wir nur unseren Teil dazu beitragen, dass man diese goldenen Zeiten nicht vergessen macht, aber dass man sozusagen eine neue Ära mit solchen Erfolgen einleitet. Und ich glaube wir sind wirklich auf einem guten Weg dahin.
Berkutschi: 2008 ist Trainer Werner Schuster nach Deutschland gekommen. Was hat sich seitdem verändert? Er ist ein österreichischer Trainer, der als Experte für das Nachwuchstraining gilt. Siehst du Unterschiede zwischen seinen Methoden und dem alten System?
Freund: Es hat sich viel verändert. Wir sind in der Athletik neue Wege gegangen, wir haben sicher in der Technik andere Sachen gemacht. Aber ich glaube, was eigentlich das Wichtigste ist, dass auch im Denken ein Umschwung stattgefunden hat. Einfach alle die dabei waren, ob das jetzt Werner ist, der Rest vom Trainerteam, aber auch die Springer, haben es wirklich als Neuanfang gesehen. Stück für Stück sind andere Leute dazu gekommen von unten, und man hat ein neues Team entwickelt, auch mit den Springern, die das Ganze von Beginn an gestützt haben. Für uns war es immens wichtig, dass wir gerade am Anfang, als Werner gekommen ist, immer noch Leute wie Uhrmann, Schmitt und Neumayer gehabt haben. Sie waren, auch wenn sie vielleicht nicht immer ganz vorne waren, für den gesamten Prozess wichtig, weil dahinter Raum für uns war, uns zu entwickeln. Das war mitentscheidend, dass wir im Endeffekt jetzt so gut sind.
Berkutschi: Bei der WM In Predazzo wurde zum ersten Mal ein Mixed-Wettkampf ausgetragen. Was hältst du von diesem Format?
Freund: Es war auf jeden Fall ein sehr spannender Wettkampf. Vorher hat keiner so genau gewusst, wer die Favoriten sind. Man hat im Endeffekt auf die Japaner geschielt, weil wir gewusst haben, okay, mit der Sara Takanashi werden sie es wahrscheinlich ziemlich gut machen, und sie haben ein sehr ausgeglichenes Team. Aber dahinter war extrem viel möglich. Am Ende ist es relativ eng geworden, was die Plätze 2, 3, 4 angeht. Es ist auf jeden Fall ein sehr interessanter Wettkampf, und für uns ist es eine Medaillenchance mehr, und deswegen: gerne.
Berkutschi: Bei den Männern sind die Österreicher, Deutschen, Norweger und jetzt auch die Polen und Slowenen sehr stark. Bei den Frauen dagegen eher die Japanerinnen, Sloweninnen, Amerikanerinnen, Französinnen. Warum diese großen Unterschiede?
Freund: Ich glaube, in den USA ist es so, dass sie dort schon länger eine Frauenmannschaft haben als andere Nationen, deswegen steckt da ein bisschen mehr Tradition drin und sie haben einen gewissen Vorsprung. So ist es in anderen Mannschaften sicher auch und da glaube ich, dass Andere noch was aufholen können. Es wird sich sicher auch im Damenskispringen in den nächsten Jahren noch viel tun, weil einfach gerade im Moment viel Bewegung drin ist und weil die Sportart noch relativ jung und auf einem hohen Niveau ist. Aber es ist auf jeden Fall interessant und es steckt viel Potenzial drin.
Berkutschi: Bist du zufrieden mit deinem 4. Platz bei der WM in Italien auf der Normalschanze, oder eher enttäuscht? Das war immerhin eine bessere Platzierung als bei der WM in Oslo.
Freund: Ja, das auf alle Fälle, und ich bin im Endeffekt eigentlich über den Einzelwettkampf auf der großen Schanze fast mehr sauer als über den von der Kleinen. Weil bei der Kleinen ist es relativ deutlich, der erste Sprung war einfach nicht gut genug für eine Medaille, mit dem Zweiten bin ich sogar noch nahe dran gekommen. Auf der Großen war es so, dass mir die Schanze liegt, ich war in Form, es wäre viel möglich gewesen, aber da ist mir den Wettkampf nicht wirklich geglückt. Und das ist eigentlich das, was mich bei der WM eher genervt hat. Mit dem zweiten Platz im Team haben wir aber nochmal viel gut gemacht.
Berkutschi: Gleich nach dem Einzelwettbewerb auf der Normalschanze kam der Mixed-Wettbewerb. War es schwierig, sich dafür so schnell wieder zu motivieren?
Freund: Wie gesagt, ich habe gewusst, dass es von mir ein guter Wettkampf war im Einzel, aber dass er nicht gut genug für eine Medaille war. Wenn man eine Medaille holen will, dann muss man halt wirklich zwei sehr gute Sprünge machen. Deswegen war es so, dass der Mixed-Wettkampf eher ziemlich gut war, weil man im Rhythmus geblieben ist, gleich nochmal einen Wettkampf hatte und so nicht ins Grübeln kommt wo jetzt die anderthalb Meter waren, die mir zur Medaille gefehlt haben.
Berkutschi: Was ist deine größte Stärke im Skispringen?
Freund: Meine größte Stärke ist, glaube ich, mein Ehrgeiz, mein Wille, dass ich den Willen habe, mich von Jahr zu Jahr weiterzuentwickeln und immer wieder neue Sachen finde, die ich beim Sprung verbessern kann.
Berkutschi: Gibt es etwas an deiner Technik, woran du im Moment am meisten arbeiten möchtest?
Freund: Ja. Es ist immer noch so, dass das, was mich einerseits stark macht - der Oberkörperzug am Absprung, weil dadurch der Körper wirklich gut beschleunigt - mir auch ab und zu zum Verhängnis wird. Wenn er zu intensiv wird, kommt nicht mehr wirklich Druck aus den Beinen. Das wird wie jedes Jahr eine Aufgabe, es einfach noch stabiler zu machen. Das ist sicher heuer ein Ziel von mir, wenn ich wieder mehr Zeit habe im Sommer, da jetzt keine OP ansteht (lacht). Generell kann man wieder mehr testen, vielleicht was die Bindungen betrifft, ein paar Sachen ausprobieren, und auch wirklich an der Technik weiter arbeiten. Weil im letzten Jahr war es so, dass, als ich dann im Juli mit dem Springen angefangen habe, dafür keine Chance mehr war. Es ging nur noch darum für den Winter in Form zu kommen. Da war nicht mehr großartig Freiraum, deswegen freue ich mich eigentlich jetzt schon wieder auf den Sommer, weil da einfach mal etwas mehr Zeit ist, sich die Sprünge vom Winter anzuschauen und einfach zu gucken: okay, wo sind Ansatzpunkte, was muss besser werden.