01 | Paschke, P. | 317.1 | ||
02 | Tschofenig, D. | 309.2 | ||
03 | Ortner, M. | 307.1 | ||
04 | Kraft, S. | 306.0 | ||
05 | Hoerl, J. | 300.9 | ||
Ganzes Ergebnis » |
Gastbeitrag von Professor Dr. Matthias Scherge
In einem Skisprung, der normalerweise ca 5 Sekunden +/- irgendwas dauert, sind wesentlich mehr wissenschaftlich auswertbare Details versteckt als es der Laie zu ahnen glaubt. Wir haben einen der renommiertesten Wissenschaftler auf diesem Gebiet gebeten einmal aus dem Nähkästchen in Sachen Skispringen zu plaudern, und bei dieser Gelegenheit sich und sein Projekt Snowstorm vorzustellen.
Matthias Scherge ist Professor für Tribologie. Das ist die Wissenschaft von Reibung, Verschleiß und Schmierung. Er leitet das Fraunhofer MikroTribologie Centrum, lehrt am Karlsruher Institut für Technologie und managed das Team Snowstorm (http://www.team-snowstorm.de). Darüber hinaus berät er das Nordic Paraski Team Deutschland in wissenschaftlich-technischen Fragen.
Skispringen ist eine extrem komplexe Angelegenheit, die Mut und Ausdauer, mentale Stärke aber auch viel technisches Wissen verlangt. Der ausschlaggebende Punkt für die Siegerweite ist eine hohe Absprunggeschwindigkeit. Um auf diese zu kommen, reicht es seit langem nicht mehr, an einzelnen Optimierungsschrauben zu drehen. Hierzu muss man das System ganzheitlich ansprechen, was einfach klingt, aber eine Menge Aufwand bedeutet. Der folgende Artikel versucht an Beispielen des Teams Snowstorm zu zeigen, was ganzheitlich bedeutet und individualisiert meint. Das Team Snowstorm ist ein Netzwerk aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen zur Unterstützung des Wintersports. Ziel ist es, Sportlern technische Unterstützung in Bezug auf Ausrüstung und Wettkampfvorbereitung zu geben und den Snowstorm Partnern Kooperationsmöglichkeiten sowie Werbeplattformen zu bieten.
Fiktion und Friktion
Luftwiderstand und Reibung erzeugen Kräfte, die der Schussfahrt im Anlauf diametral entgegen gerichtet sind. Hierbei beeinflussen der cw Wert und der Reibungskoeffizient μ maßgeblich diese Kräfte. Während der cw Wert im Windkanal gemessen werden kann, gibt es für den Reibungskoeffizienten zwischen Ski und Spur nur Schätzwerte. Das war die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht lautet: Der Reibungskoeffizient kann nach vielen Jahren Grundlagenforschung sehr genau berechnet werden. Hierzu haben Böttcher, Seidelmann und Scherge ein Modell entwickelt, welches in der renommierten Fachzeitschrift Cold Regions Science and Technology veröffentlicht wurde [1]. Nunmehr kann der Anlauf eines Skispringers simuliert und nachfolgend gezeigt werden, wie die Einflussgrößen cw Wert und Reibungskoeffizient bei verschiedenen Geschwindigkeiten wirken. Damit lässt sich ableiten, ob in Reibungs- und/oder Luftwiderstandsverringerung investiert werden sollte. Wie alles im Leben haben auch die Reibungsberechnungen ein paar Schattenseiten. Exakte Reibungswerte können bisher nur für unbehandelte, d.h. nicht gewachste, nicht gebürstete Skibeläge ermittelt werden. Sobald die Skipräparation ins Spiel kommt, muss gemessen werden. Hierzu greift das Team Snowstorm auf 4 Eis- und Schneeprüfstände zurück, bei denen im Labor das ganze Jahr Winterstimmung herrscht. Mit den Prüfständen können Gleitgeschwindigkeiten bis zu 150 km/h erreicht und jegliche Art der Skipräparation getestet werden. Bei der Skipräparation ist es allerdings wichtig, Fiktion und Friktion zu trennen, denn auf diesem Gebiet wimmelt es nur so von Lehrmeinungen, die nicht wissenschaftlich belegt sind [2].
Haltung bewahren!
Neben den biomechanischen Gegebenheiten des Athleten wird die Körperhaltung hauptsächlich durch die Sprungstiefel beeinflusst. Praktische Erfahrung zum Thema Stiefel konnte das Team Snowstorm mit dem spanischen Speedski Champion Ricardo Adarraga sammeln [3]. Ricardo wurde seit 2016 ganzheitlich betreut, indem er durch die Kraft des Snowstorm Netzwerks 5 anstelle von einem Paar Speedski, die übrigens genau so lang wie Sprungski sind, erhielt. Weiterhin wurde am Belag, am Skischliff, am Wachs sowie an der Druckverteilung zwischen Ski und Schnee gearbeitet. Das Bild zeigt Ricardo auf einer 4 m langen, hochsensiblen Druckplatte, die dynamische Änderungen in der Druckverteilung in Echtzeit detektiert. Hier stellte sich heraus, dass die Skiführung in puncto Skiabstand nicht optimal ist, was einfach zu korrigieren war. Deutlich anspruchsvoller verliefen die Korrekturen im Bereich der Stiefel. Sowohl der Schließdruck der Schnallen als auch Veränderungen bei den Einlagen waren deutlich in den Bildern der Druckverteilung zu sehen. Ein leichtes Anheben des Bereichs unter den Ballen führte dazu, dass Ricardo deutlich weiter in Vorlage gehen kann und die Rennläufe entschieden stabiler absolvieren konnte. Weitere Vorteile können auch durch individuell angefertigte Sohlen erzielt werden. Mittels 3d Polymerdruck entstehen auf Gewicht und Biomechanik des Athleten angepasste Stützstrukturen, die Halt und Abdruck verbessern. Hierzu ist allerdings noch etwas Laborarbeit notwendig.
Die Wettervorhersage kam nicht von der ARD sondern ...
Zur optimalen Wettkampfvorbereitung gehört auch ein tiefer Blick in die Wetterkristallkugel. Mit Hilfe von Hochleistungsrechnern wurde für die letzten Olympischen Spiele das globale Wettermodell, welches mit einer Maschenweite von 25 km arbeitet, auf eine Maschenweite von nur 1 km reduziert, um exakt für den Stadionbereich Laura das Kaukasuswetter mit 72 stündiger Vorhersage zu bestimmen. Mit unserer Wettervorhersage wurden der Deutsche Skiverband sowie das Nordic Paraski Team versorgt. Die Generalprobe erfolgte zum Biathlonweltcup 2014 in Oberhof. Wer Oberhof kennt weiß, dass es gerade im Januar viel Nebel gibt, so auch 2014. Unser Hi-End Wetterbericht sagte für 12.15 Uhr Sonne voraus. Aber: 11.45 Uhr Waschküche, 12 Uhr Waschküche, 12.08 Uhr jemand lüftet gerade, 12.15 Uhr Sooooonne!!! Besser hätte es nicht laufen können!
Individualisierungen
Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Es wurde deutlich, dass man für den Erfolg im Wettkampf gleichzeitig an mehreren Hebeln ziehen muss. Noch effektiver werden die Maßnahmen, wenn sie auf den Athleten zugeschnitten sind. Das folgende Bild zeigt das Snowstorm Vorgehen bei Individualisierungen. Beginnend mit Druckplattenversuchen erfolgt die Charakterisierung der Biomechanik des Athleten. Die eingesetzte Platte hat eine so hohe Abtastrate, dass selbst Sprünge – die mit und ohne Stiefel erfolgen – detailliert aufgezeichnet werden können. Auf Basis dieser Werte geht es zum Boot Fitting sowie zur Einordnung der Ski. Falls festgestellt wird, dass der bisher genutzte Ski nicht optimal ist, kann durch das Team Snowstorm die Herstellung eines individualisierten Skis erfolgen. Sind alle Komponenten fertig, erfolgen die Tests, die sich hauptsächlich auf die Anlaufphase konzentrieren. Letztlich unterstützt das Team Snowstorm auch die PR Arbeit mit Pressemitteilungen, Fernsehbeiträgen sowie populärwissenschaftlichen Artikeln im Snowstorm Journal GLIDING [4].
Quellen:
[1] Roman Böttcher, Marc Seidelmann, Matthias Scherge, Sliding of UHMWPE on ice: Experiment vs. modeling, Cold Regions Science and Technology, 141(2017)171-180.
[2] Matthias Scherge, Skischliffe falsch interpretiert, Gliding, 1(2017)1-6.
[3] Matthias Scherge, Im Rausch der Geschwindigkeit, SkiMagazin, 3(2017)24-29.
[4] http://team-snowstorm.de/Gliding.html - https://www.facebook.com/GLIDING.Open.Access.Journal/